Berlin/Frankfurt a.M., 28. März 2009
Insgesamt 55.000 Menschen sind am heutigen Samstag in Berlin und Frankfurt am
Main dem Aufruf eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses von
gewerkschaftlichen Gliederungen, Sozialprotest-und antikapitalistischen Gruppen,
Attac, der Partei "Die Linke", Migranten-Organisationen, Bündnis90/Die Grünen
sowie umwelt-, entwicklungspolitischen und kirchlichen Gruppen gefolgt. In
Berlin nahmen 30.000 Menschen an der Demonstration teil, in Frankfurt am Main
waren es 25.000. Die Proteste unter dem Motto "Wir zahlen nicht für eure Krise!
Für solidarische Gesellschaft" finden im Vorfeld des G20-Gipfels am 2. April in
London statt. Es handelt sich um die größte Demonstration in Deutschland seit
Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise. Parallel gehen auch in zahlreichen
anderen Ländern die Menschen auf die Straße; in London waren es mehrere
Zehntausend, in Wien 20.000.
"Die Demonstrationen in Berlin und Frankfurt waren ein voller Erfolg. Damit ist
klar, dass auch in Deutschland ein großer Teil der Bevölkerung für eine soziale
Form der Krisenpolitik eintritt, die die Kosten der Krise nicht auf die ärmeren
Bevölkerungsgruppen abwälzt", sagte Bernd Riexinger von Verdi Stuttgart. "Für
uns sind die Demonstrationen der Beginn einer Protestwelle. Die Profiteure
müssen zur Kasse gebeten werden."
Einhellig forderten die Redner und Rednerinnen auf den Kundgebungen, dass die
Verursacher der Krise für die Kosten aufkommen, beispielsweise durch eine
Millionärssteuer und eine Sonderabgabe auf hohe Vermögen. Sie forderten mehr
Geld für Bildung, Umwelt- und Klimaschutz, öffentliche Infrastruktur und
Gesundheit sowie einen sozialen Schutzschirm für Beschäftigte, Erwerbslose sowie
Rentnerinnen und Rentner. Hartz IV müsse ebenso weg wie die weiteren Gesetze der
Agenda 2010. Stattdessen seien ein armutsfester Mindestlohn und die
existenzsichernde Erhöhung des Eckregelsatzes notwendig.
Einig ist sich das aufrufende Bündnis auch in seiner Forderung nach einer
strengen Regulierung des weltweiten Finanzsystems. Steueroasen müssten
geschlossen, Hedgefonds und andere spekulative "Instrumente" verboten werden.
Der Versuch, die Krise auf die Menschen des globalen Südens abzuwälzen, die
heute schon stark unter den Folgen der Krise leiden, sei ebenso zurückzuweisen
wie ein weiterer Raubbau an der Natur und Belastung des Klimas.
"Egal ob in Frankreich, Deutschland, England, ob in den Parlamenten oder auf der
Straße - gemeinsam müssen wir jetzt Druck machen für eine solidarische
Gesellschaft. Mit der Krise bietet sich jetzt die Chance, einen neuen Weg
einzuschlagen hin zu einer Wirtschaftsordnung, die den Menschen dient, nicht dem
Profit", sagte Willi van Ooyen, Fraktionsvorsitzender der Linken im hessischen
Landtag und aktiv in der Ostermarsch-, Friedens- und Sozialforumsbewegung.
"Statt die Verluste zu sozialisieren, muss der Finanzsektor vergesellschaftet
werden", forderte Christina Kaindl von der Berliner Gruppe Soziale Kämpfe. "Wir
wollen eine demokratische Kontrolle der Wirtschaft und deren Ausrichtung an
sozialen Bedürfnissen statt an Renditen. Die Dominanz der Profitlogik und die
Ökonomisierung aller Lebensbereiche muss beendet werden."
"Die Krise ist nicht vom Himmel gefallen oder das Ergebnis der Gier einiger
Manager. Ursache der Krise ist die neoliberale Politik der Liberalisierung der
Märkte, von Deregulierung und Privatisierung. Die Verantwortlichen sind in den
Regierungen zu finden", sagte Alexis Passadakis von Attac. "Der Kapitalismus
steckt in seiner gravierendsten Krise seit 1929. Es reicht deshalb nicht, die
Fassade mit einigen neuen Regulierungsmaßnahmen der G20 neu zu tünchen. Das
Weltwirtschaftssystem muss auf ein grundsätzlich anderes Fundament gestellt
werden."
Als beispielshafte Gegenwehr bezeichnete das Bündnis die millionenfach befolgten
Generalstreiks in Frankreich. "Auch in Deutschland muss das politische
Streikrecht für alle gelten. Ein in Etappen vorbereiteter Generalsstreik würde
wesentlich zur Durchsetzung der sozialen und politischen Forderungen beitragen",
betonte Bernd Riexinger von Verdi Stuttgart.
Mit Kritik reagierte das Bündnis auf das Vorgehen der Polizei in Berlin, die die
dortige Abschlusskundgebung stark behindert habe. Polizisten seien immer wieder
massiv auf den Platz vorgerückt und hätten so große Unruhe unter den friedlichen
Kundgebungsteilnehmern und eine aggressive Stimmung erzeugt.
Das bundesweite Bündnis ruft als nächsten Schritt zu den Demonstrationen gegen
den Nato-Gipfel am 3. und 4. April in Strasbourg/Baden-Baden auf. Aufgerufen
wird auch zu den Demonstrationen und Kundgebungen am 1. Mai sowie der
bundesweiten Demonstration des Europäischen Gewerkschaftsbundes in Berlin am 16.
Mai. Auch die vom 15. bis 19. Juni geplanten Bildungsproteste sind ein wichtiger
Teil der Protestbewegung.